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Der Begriff Blaue Stunde bezieht sich auf die Zeitspanne innerhalb der abendlichen oder morgendlichen Dämmerung, während der sich die Sonne so weit unterhalb des Horizonts befindet, dass das blaue Lichtspektrum am Himmel noch bzw. schon dominiert und die Dunkelheit der Nacht noch nicht eingetroffen bzw. schon vorbei ist. Da es sich bei der Blauen Stunde um einen umgangssprachlichen Begriff handelt, existiert keine offizielle Definition – im Gegensatz etwa zu den drei Dämmerungsphasen.[1] Prinzipiell besteht ein Zusammenhang zwischen dem Tiefenwinkel der Sonne und der spektralen Zusammensetzung des Himmels. Die charakteristische blaue Färbung entsteht typischerweise, während sich die Sonne zwischen 4 und 8 Grad unterhalb des Horizonts befindet.[1] Damit erstreckt sich die Blaue Stunde sowohl über Teile der Bürgerlichen Dämmerung (Tiefenwinkel der Sonne zwischen 0 und 6 Grad) als auch der Nautischen Dämmerung (Tiefenwinkel 6 bis 12 Grad). Das Blau des Himmels zur Blauen Stunde hat eine andere spektrale Zusammensetzung als das Blau bei Tage, da es auf eine andere physikalische Ursache zurückzuführen ist. Während der Blauen Stunde besitzt der tiefblaue Himmel etwa dieselbe Helligkeit wie das künstliche Licht von Gebäude- und Straßenbeleuchtungen, weshalb die Blaue Stunde in der Fotografie eine besondere Bedeutung hat.

Blaue Stunde an der Dreiländerbrücke. Man erkennt die durch die untergehende Sonne verursachte Röte.
Blaue Stunde an der Dreiländerbrücke. Man erkennt die durch die untergehende Sonne verursachte Röte.
Das Brandenburger Tor in der Blauen Stunde
Das Brandenburger Tor in der Blauen Stunde
Skyline von Taipeh, Taiwan zur Blauen Stunde im Mai 2016.
Skyline von Taipeh, Taiwan zur Blauen Stunde im Mai 2016.
Der Palace of Westminster zur Blauen Stunde
Der Palace of Westminster zur Blauen Stunde
Blaue Stunde. Ystad 2018.
Blaue Stunde. Ystad 2018.

Obwohl dieselbe Färbung auch während der Morgendämmerung zu sehen ist, wird der Begriff vor allem als Synonym für die Abenddämmerung beziehungsweise deren poetischen Umschreibung verwendet.[2][3] Laut Duden steht die Wendung „blaue Stunde“ dichterisch für die Zeit der Dämmerung.[4] In literarischen Werken wird der Begriff auch noch weiter gefasst und hier häufig mit melancholischen Gefühlen assoziiert.[5][6]

Neben der Blauen Stunde gibt es den Begriff der Goldenen Stunde, der sich auf die Zeit kurz nach Sonnenaufgang oder kurz vor Sonnenuntergang bezieht. Im Gegensatz zur Goldenen Stunde ist die Blaue Stunde auch bei bedecktem Himmel zu sehen, denn auch dieser zeigt die charakteristische blaue Färbung.[7]


Physikalische Erklärung der Färbung


Das Himmelsblau während des Tages wird durch die Rayleigh-Streuung verursacht, aufgrund derer mehr Licht kürzerer Wellenlänge – also blaues Licht – gestreut wird. Wenn allerdings das Sonnenlicht im Verlauf der Dämmerung immer schräger einfällt und einen längeren Weg durch die Erdatmosphäre nimmt, ist immer mehr Licht bereits herausgestreut, bevor es den Himmel über dem Ort der Dämmerung erreichen kann. Da dies insbesondere für das blaue Licht gilt, würde das dazu führen, dass der Himmel im Zenit nach Sonnenuntergang eher gelblich oder grünlich wäre. Mit dem schrägen Lichteinfall hat das Licht aber auch einen längeren Weg durch die Ozonschicht in 15 bis 30 Kilometer Höhe, weshalb die Chappuis-Absorption zum Tragen kommt, die sich während des Tages nicht bemerkbar macht, da sie deutlich schwächer als die Rayleigh-Streuung ist.[8]

Bereits im Jahr 1880 hatte der französische Chemiker James Chappuis erkannt, dass Ozon sichtbares Licht blau färbt, da es Licht im gelben, orangen und roten Spektrum absorbiert, wodurch das blaue Licht sozusagen übrig bleibt.[9] Man hielt aber das Himmelsblau durch die damals bekannte Rayleigh-Streuung bereits für vollkommen ausreichend erklärt, so dass man diesem Effekt in dieser Hinsicht keine Bedeutung beimaß. Erst 1952 erkannte der US-amerikanische Geophysiker Edward Hulburt (1890–1982) diesen Zusammenhang. Er stieß darauf, als er die Intensität und Färbung des Lichts während der Dämmerung vermaß und mit den theoretisch vorhergesagten Werten verglich. Durch die Größenordnung der Abweichungen konnten Messfehler ausgeschlossen werden. Erst als Hulburt, dem die Absorptionswirkung des Ozons bekannt war, die Chappuis-Absorption in seine Berechnungen einbezog, waren Theorie und experimentelle Daten in Einklang zu bringen.[8]

Mit dem bei Dämmerung immer länger werdenden Weg durch die Erdatmosphäre nimmt die Bedeutung der Rayleigh-Streuung für die Färbung des Himmels im Zenit ab, die Bedeutung der Chappuis-Absorption dagegen nimmt zu. Zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs ist die Färbung nur zu einem Drittel auf die Rayleigh-Streuung und zu zwei Dritteln auf die Chappuis-Absorption zurückzuführen, im späteren Dämmerungsverlauf wird letztere zum einzigen maßgeblichen Effekt.[8]

Über die Entdeckung dieses vollkommen zufällig erscheinenden harmonischen Zusammenspiels zweier so unterschiedlicher physikalischer Effekte staunte Hulburt selbst und brachte dies in einem Dankschreiben für eine Auszeichnung, die er für seine Forschungen erhielt, zum Ausdruck.[8][10]

The unsuspecting observer lying on his back and looking upward at the clear sky during sunset sees only that the overhead sky which was blue before, remains the same luminous blue color during sunset and throughout the darkening period of twilight. He is not aware that in order to produce this apparently simple and satisfactory result nature has dipped quite freely into her best bag of optical tricks.

„Der nichtsahnende Beobachter, der während des Sonnenuntergangs auf dem Rücken liegend in den klaren Himmel schaut, sieht nur, dass der Himmel über ihm, der vor dem Sonnenuntergang blau war, dasselbe leuchtende Blau beibehält, während die Sonne untergeht und es anschließend während der Dämmerung immer dunkler wird. Er ist sich nicht bewusst, dass die Natur, um dieses anscheinend so selbstverständliche und naheliegende Ergebnis zu produzieren, recht großzügig ganz tief in die optische Trickkiste gegriffen hat.“


Dauer


Die Länge der Dämmerung im Zusammenhang mit dem Breitengrad spielt eine wesentliche Rolle. So beträgt die Dauer der Blauen „Stunde“ in Mitteleuropa zwischen 30 (Tag-und-Nacht-Gleiche) und 50 Minuten (Sonnenwende). In den Tropen dauert sie 20 Minuten und in den Weißen Nächten bis zu fünf Stunden. An den Polen dauert die Blaue Stunde (theoretisch) zwei Wochen.


Technische und gestalterische Aspekte in der Fotografie


In der Fotografie wird die Blaue Stunde für Available-Light-Aufnahmen und die Nachtfotografie genutzt. Gegenüber Aufnahmen bei absoluter Dunkelheit ist zu dieser Zeit die Umgebung noch leicht erhellt und besser sichtbar. Im erhaltenen Bild sind die Kontraste zwischen Hell und Dunkel abgemildert und die Bilder weisen eine besondere Stimmung auf. Die Beleuchtung innerhalb von Gebäuden kommt in den fotografisch gleichen Kontrastumfang der nicht künstlich beleuchteten Fassade und Umgebung und der Farbkontrast zur Straßenbeleuchtung und Gebäudebeleuchtungen bieten fotografische Anreize. Die unterschiedlichen Farbtemperaturen (Blau des Himmels, Orange der Glühlampen, Türkis der Leuchtstoffröhren) machen solche Fotos ungewöhnlich bunt. Die Farbtemperatur des Himmels liegt zwischen 9000 K und 12000 K. Sie entspricht damit in etwa der des vom Schatten aus gesehen Taghimmels, die unterschiedliche spektrale Zusammensetzung durch die Chappuis-Absorption macht sich also in der Farbtemperatur nicht signifikant bemerkbar.[11]


Die Blaue Stunde in der Bildenden Kunst


Siehe auch: Commons: Gemälde zur Dämmerung


Die Blaue Stunde in der Literatur



Gedichte



Romane



Die Blaue Stunde in der Musik



Siehe auch



Literatur




Commons: Blaue Stunde – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: blaue Stunde – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise


  1. Blaue Stunde: Rechner & Tipps für Dämmerung-Fotos. Abgerufen am 13. Oktober 2017.
  2. Abenddämmerung, Artikel im Onlinelexikon wissen.de, Konradin Mediengruppe, Leinfelden-Echterdingen.
  3. Morgengrauen, Artikel im Onlinelexikon wissen.de, Konradin Mediengruppe, Leinfelden-Echterdingen.
  4. Stunde, Artikel in der Onlineausgabe des Duden, Bibliographisches Institut GmbH, 2020.
  5. Angelika Lochmann, Angelika Overath: Das blaue Buch. Lesarten einer Farbe. Greno Verlag, Nördlingen 1988, ISBN 3-89190-432-0, S. 208 f.
  6. Götz Hoeppe: Why the Sky is Blue. Discovering the Color of Life. Princeton University Press, Princeton 2007, ISBN 0-691-12453-1, S. 236 f. (Google books)
  7. Gunnar Schacht: Die Blaue Stunde. Abgerufen am 20. Dezember 2020.
  8. Götz Hoeppe: Why the Sky is Blue. Discovering the Color of Life. Princeton University Press, Princeton 2007, ISBN 0-691-12453-1, S. 249–253 (Google books)
  9. P. Hautefille, J. Chappuis: Sur la liquéfaction de l’ozone et sur la couleur à l’état gaseux. In: Comptes rendus de l'Académie des sciences, Band 91 (1880), S. 552–525, deutsch in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Band 13 (1880), S. 2408.
  10. E. O. Hulburt: Some Recent Papers in the Journal of the Optical Society of America. In: Journal of the Optical Society of America. Band 46, S. 9, 1956, doi:10.1364/JOSA.46.000005.
  11. Harald Tedesco: Panorama Fotografie. Franzis Verlag, Haar bei München 2016, ISBN 3-645-60437-5, S. 222 (Google books).
  12. Oskar Loerke: Blauer Abend in Berlin.
  13. Stefanie Golisch: Stunde der Illusion – Stunde der Wahrheit auf Anthologie.de (Text des Gedichts von Benn und Interpretation)
  14. Stefanie Golisch: Die Stunde zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit bei Fixpoetry (Text der Gedichte von Benn und Bachmann und Interpretation).
  15. Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras. Hamburg 1951, Episode 74.
  16. Eine Blaue Stunde bei Discogs
  17. Federico Albanese | Music. Abgerufen am 11. November 2019 (englisch).



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